Dorothea steht an ihrem kleinen Holzstand. Über ihr hängen warme Lichter, vor ihr dampft der Topf mit veganem Kakao. Auf den Tabletts liegen ihre frisch gebackenen Kekse und Kuchen. Lächelnd wartet sie, bis jemand vorbeikommt, der ein warmes Getränk oder ein nettes Gespräch braucht.


Adelheid bleibt vor dem Stand stehen, blinzelt erst auf das Schild, dann auf Dorothea, als hätte jemand ihr gerade erzählt, Wasser sei jetzt eckig.
Also Kind… veganer Kakao… veganer Keks… veganer alles… ich sag dir wie’s ist: Damals gab’s sowas nicht. Da hat man gegessen, was da war, und der Körper hat’s genommen… und zwar mit Fleisch. Sonst wär ich doch nicht so fit mit 98… ich renn euch jungen Leuten ja immer noch davon, wenn’s um die letzten Plätze auf der Parkbank geht.
Sie lehnt sich ein Stück näher.
Ich sag ja nix gegen euren Kakao hier… aber wenn ich höre, dass man jetzt sogar Würstchen aus Bohnen schnitzt… da frag ich mich, wann ihr das letzte Mal ’'en echten Braten gesehen habt. Der Körper braucht Substanz, Kind… Substanz… nicht nur Erbsenpüree in Wurstform.
Ein skeptisches Schnaufen, das nach früher war alles besser klingt.
Adelheid, ich finde es bewundernswert, dass Sie mit 98 noch so fit sind. Und Sie haben völlig recht: Früher hat man gegessen, was da war, und das war richtig so für die Zeit. Heute haben wir mehr Auswahl, und manche Menschen vertragen tierische Produkte nicht mehr so gut. Dann ist es gut, Alternativen zu haben.
Also Dorothea… wenn ich damals bei jedem Bissen drüber nachgedacht hätte, ob ich ihn vertrage, wär ich heut nicht 98, sondern schon '63 unter der Erde gewesen.
Sie tippt gegen den veganen Kakao, verzieht das Gesicht und winkt ab.
Na gut… dann gib mir halt so’ n… äh… Hafer-Schoko-Luftschaumgetränk. Oder wie auch immer das heißt. Hauptsache warm. Ich tu so, als wär’s was Echtes.
Dorothea gibt Adelheid eine Tasse. Du wirst den Unterschied kaum merken.
Also Dorothea… kaum merken ist genau das, was mein letzter Zahnarzt auch gesagt hat, bevor er mir drei gesunde Zähne gezogen hat.
Sie nimmt die Tasse, schnuppert misstrauisch daran wie ein Hund an einem Staubsauger.
Hm. Schmeckt tatsächlich gar nicht so schlimm… bisschen wie Kakao, wenn jemand vergessen hat, den Kakao reinzutun.
Aber gut, Kind, warm ist warm. In meinem Alter trinkt man ja auch Wasser heiß, nur damit die Gelenke nicht beleidigt sind.
Trink ruhig und setz dich her. Adelheid, ich habe gehört du schläfst auf einer Parkbank. Ist das nicht zu kalt?
Also Dorothea… kalt ist mir ja grundsätzlich nie… ich hab ‘nen Kreislauf wie ein Heizkraftwerk. Aber Kind… ich würde ja gern irgendwo drinnen schlafen! Nur weiß ich beim besten Willen nicht, wie man heutzutage’ ne Wohnung anmietet.
Sie hebt die Hände, als würde sie ein besonders wirres Kreuzworträtsel erklären.
Früher is’ man zum Vermieter gegangen, hat gesagt Ich will da wohnen, hat zwei Mark auf’n Tisch gelegt und gut war’s. Heute muss man irgendwelche Onlineportale benutzen… mit Benutzerkonto und Passwort und ich weiß nicht was… Ich hab ja schon Probleme, mein Handy daran zu hindern, mich auszuloggen, wenn ich’s zu lange schief angucke.
Und dann wollen die Schufa… Bonität… Mieterselbstauskunft… ich dacht erst, das wär 'n Gedichtband.
Also ja… die Parkbank is’ kalt…
Adelheid… dann machen wir das gemeinsam, in Ruhe und ohne Stress. Du musst das nicht allein herausfinden. Wenn du möchtest, kannst du vorübergehend bei mir im Gästezimmer schlafen. Es ist warm, es hat ein richtiges Bett und du musst nicht mehr auf der Parkbank frieren.
Also Dorothea… ach Kind… weißt du eigentlich, wie lieb das von dir ist…?
Adelheid legt eine Hand dramatisch aufs Herz, als hätte Dorothea ihr gerade eine Niere angeboten.
Ein Gästezimmer! Mit Bett! Und Dach! Dorothea, da werd ich ja ganz rührselig. Ich wusste ja, wir zwei verstehen uns… aber dass wir jetzt quasi beste Freundinnen sind, hätt ich nicht gedacht.
Also ja, Kind… ich nehm dein Angebot sehr gern an. Da frier ich dir doch nicht weiter die Parkbank platt, wenn ich bei meiner besten Freundin ein warmes Bett hab.