Der Wind dreht genau in dem Moment, als Princess den kleinen Spielpatz betritt. Neben ihr gluckert der Bach fröhlich sein Lied und der kalte Hauch trägt die Gerüche der Nacht an die Katzennase. Erde, Laub, eine Maus hinter der Mauer, kalter Metallgeruch von den Schaukelketten - und etwas Neues. Etwas, dass nicht hierher gehört.

Princess bleibt stehen.

Direkt an der Rutsche, dort, wo sie gestern selbst ihre Spur hinterlassen hat, glitzert eine frische, kräftige Markierung im Mondlicht. Scharf und klar, selbstbewusst und absichtlich dort abgesetzt. Sie senkt den Kopf, um den Geruch zu prüfen. Ein Kater. Jung, aber nicht mehr jung genug, um unerfahren zu sein. Sein Duft ist hell, ein bisschen eisig. Erinnert an Schnee und einen zugefrorenen See. Er überdeckt ihre Markierung von gestern mühelos.

Eine Herausforderung. Eine Warnung, dass der Boden, den sie hier beansprucht, nicht kampflos übergeben wird. Princess schnauft leise durch die Nase. Nicht wütend, eher wachsam und kampfbereit. Dieser Kater besitzt Mut. Genug Mut, und damit genug Rang, sein Revier zu verteidigen. Aber auch Dummheit, auch wenn er es vielleicht noch nicht weiß.

Mit leisen, geschmeidigen Schritten setzt sie sich in Bewegung, springt zuerst auf die Mauer des Spielplatzes, dann auf das kleine Dach das Spielhauses und besteigt von dort das Klettergerüst, bis sie ganz oben auf dem Dach sitzt. Die Balken sind etwas feucht vom Regen heute Nachmittag, doch sie ist eine geübte Kletterin und so setzt sie keinen Tritt falsch. Oben auf dem Gerüst ist sie im Vorteil: gute Sicht, gutes Licht, Fluchtwege in alle Richtungen. Ein perfekter Ort, um gesehen zu werden, ohne sich angreifbar zu machen.

Princess legt sich nicht hin. Sie sitzt, die Pfoten eng beieinander, der Schweif locker, aber wachsam geschwungen. Ihre Augen schimmern wie zwei schmale Dolche in der Nacht.

Sie spürt ihn, bevor sie ihn sieht. Eine leichte Veränderung im Wind. Ein kaum hörbares Rascheln hinterm Zaun. Eine andere Katze hätte es nicht gehört. Oder die kurze Veränderung im Schatten übersehen.

Princess nicht. Sie richtet sich auf, strafft ihre Schultern und schaut gespannt hin. Aus der Dunkelheit tritt ein Kater mit schneeweißem Fell, das selbst im spärlichen Licht des Mondes zu glühen scheint, auf den Sand des Spielplatzes. Sein Gang ist leichtfüßig und kontrolliert, aber nicht ganz so athletisch wie der von Princess. Er weiß, wie man sich bewegt, aber scheint seine Triebe und Reflexe für ein Leben in Sicherheit verkauft zu haben. Princess schnaubt. Die blauen Augen des Katers, sie sind hell wie gefrorenes Wasser, fixieren sie sofort. Kein Zögern, kein Umweg. Er wusste genau, dass er erwartet wird.

Princess hebt das Kinn. Es ist keine Drohung und auch keine Einladung. Es ist ein: Ich nehme dich wahr. Und dafür solltest du dankbar sein. Der weiße Kater bleibt unten im Sand stehen, in respektvollem Abstand. Auch er scheint zu sagen: Ich nehme dich war. Aber seine angespannten Muskeln, sein zuckender Schweif, seine hochgezogenen Schultern sagen auch ganz eindeutig: Geh nicht zu weit. Dieses Dorf gehört mir.

Dann setzt er sich. Die beiden Katzen mustern sich lange. Sehr lange. Die Ketten der Schaukel rasseln leise, als der Wind sie bewegt, doch die Katzen schauen sich an. Niemand bewegt sich oder faucht, es ist ein Kriegergruß, eine Mischung aus Herausforderung und Respektbekundung. Ein Dialog ohne Worte, bei dem beide Kontrahenten herauszufinden versuchen, was der andere weiß, wozu er in der Lage ist und was er möchte. Nach einer Weile nickt Princess kaum merklich. Es ist eine Warnung. Der weiße Kater nickt zurück, ebenfalls eine Warnung. Dann dreht er sich um und geht. Er verschwindet so leise, wie er gekommen ist, wieder in den Schatten. Angst davor, Princess den Rücken zuzudrehen, hat er keine.

Princess bleibt noch auf dem Gerüst sitzen, bis der Wind seinen Geruch verweht hat. Erst dann lässt sie den Rücken sinken und entspannt ihre Schultern. Dieses Dorf ist lebendiger, als sie zuerst dachte. Und dieser weiße Kater ist kein gewöhnlicher Gegner. Dann springt sie vom Klettergerüst und verschwindet in der entgegengesetzten Richtung zum Kater in den Schatten.