⚠️ Triggerwarnung / Content Note
Dieser Text enthält realistische Schilderungen medizinischer Notfälle, Operationen, Blut, Verletzungen und Krankenhausroutinen. Er beschreibt detailliert Notfallmaßnahmen, chirurgische Eingriffe und die psychische Belastung des Krankenhauspersonals. Die Szenen können für manche Leser*innen belastend oder retraumatisierend wirken. ⚠️
Der Hubschrauber kam um 11:17 Uhr. Man hörte ihn schon fünf Minuten vorher - dieses dumpfe, schneidende Wummern, das über dem Dach kreiste und den Kaffee in den Pappbechern zittern ließ.
Robin Veldman stand mit halb offenem Kittel im Durchgang zur Schleuse, Herzfrequenz über 110, und tat so, als wäre das Routine. Sie versuchte ruhig zu wirken, so wie die anderen: diese geübte, gelangweilte Gelassenheit, die alle auf Station hatten, die lange genug dort waren, um Blutverlust als Ölwechsel bei einem alten Diesel und den Tod als Feierabend zu sehen. Sie war seit drei Tagen im Intensiv-Tertial und noch niemand hatte ihr verraten, wie man den Geruch von Blut und Kerosin gleichzeitig erträgt.
„Schweres Polytrauma, männlich, achtzehn, Flugzeugabsturz südlich von Kreta.“, rief jemand über das Headset. „Intubiert, beatmet, Kreislauf instabil. Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma, Thoraxtrauma, multiple Frakturen.“
Robins Anleiter, Dr. Friedrich Kruse, leitender Chefarzt der Neurochirurgie - ein Mann, der immer roch wie Metall und Menthol - sah sie an. Sein Blick war knapp, berechnend, ungeduldig. „Sie kommen mit, Dr. Veldman. Beobachten, aber nicht im Weg stehen.“
Der Hubschrauber war kaum gelandet, da flog die Tür zum Schockraum auf. Zwei Notfallsanitäter stürmten herein, Schweiß auf der Stirn, rußverschmierte Hände. „Patient männlich, achtzehn, Flugzeugabsturz, mehrfach reanimiert, stabil seit zehn Minuten. Pupillen träge, Intubation vor Ort, Noradrenalin läuft, Beatmung auf hundert Prozent O₂.“ Ihre Worte überschlugen sich.
Robin trat zur Seite und presste sich an die Wand, um Platz zu machen. Die Luft war warm und roch nach verbranntem Plastik, Blut und diesem süß-metallischen Geruch, den man nie wieder vergisst, wenn man ihn einmal eingeatmet hat. Jemand rief nach mehr Licht. Die Lampen flackerten auf, kalt und gnadenlos grell.
Der Patient wurde auf die Trage im Aufnahmeraum gelegt: ein schmaler Körper, blass, übersät mit dunklen Flecken, Brandblasen und Schürfungen. Seine linke Gesichtshälfte war erstaunlich unversehrt, die rechte dagegen ein einziger Schatten aus Blut, Ruß und Schwellung. Der Kontrast war so brutal, dass Robin unwillkürlich wegsah. Sie hatte mit vielem gerechnet in ihren ersten Tagen, aber nicht mit so etwas.
„ZVK prüfen!“
„Zugang rechts verstopft!“
„Absaugen!“
„Sättigung fällt!“
Jemand ließ ein Metalltablett fallen - das laute Klirren durchschnitt die Luft. Der Monitor piepte hektisch. Robin hörte sich selbst viel zu schnell atmen.
Dr. Kruse übernahm die Leitung.
„Herzdruckmassage war erfolgreich?“
„Ja, zweimal reanimiert, nach zweiter Runde stabilisiert, seit Transport konstant.“
„Gut. Pupillen?“
„Beidseits mydriatisch.“
„Schädel-Hirn-Trauma, wahrscheinlich Grad III. Wir brauchen ein CT, sofort.“
Er deutete mit dem Kinn auf Robin.
„Dr. Veldman, kommen Sie hierher. Blutgase abnehmen und sofort ins Labor. Und achten Sie darauf, dass der ZVK nicht verrutscht, der sitzt grenzwertig.“
Robin trat näher. In seinem Haar klebte Asche, an den Wimpern Ruß. Ihre Hände zitterten, als sie die Spritze in die Arterie setzte. Das Blut kam stoßweise - zu hell, zu schnell. Sie beschriftete das Röhrchen, aber der Stift rutschte ihr fast aus den Fingern. Eine Schwester, kaum älter als sie, riss es ihr wortlos aus der Hand, prüfte das Etikett im Laufen und verschwand Richtung Labor.
Die Brust des Patienten hob und senkte sich rhythmisch, künstlich. Das Beatmungsgerät rauschte im Takt - ein kalter, maschineller Klang, der jede Menschlichkeit aus dem Raum saugte.
Dr. Kruse legte die Hand auf seine Stirn, prüfte kurz die Hauttemperatur, dann den Puls an der Halsschlagader. „Puls schwach. Aber da. Wir gehen direkt ins CT. Dr. Veldman, Sie bleiben dran. Beobachten Sie die Werte.“
„Ja“, brachte Robin hervor, obwohl sie kaum atmen konnte.
Sie folgte dem Team schweigend in Richtung Radiologie. Für einen Moment traute sie sich, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Die linke Seite ruhig, fast friedlich. Die rechte: zerstört, aufgedunsen, schwarz. Aber in diesem Chaos, zwischen Schläuchen, Kabeln und Blut, war da eine winzige Bewegung - kaum sichtbar, vielleicht nur eine Muskelzuckung. Niemand sonst schien es zu bemerken. Vielleicht hatte sie es sich eingebildet. Vielleicht auch nicht. Das Geräusch der Rollen unter der Trage hallte über den Flur, das monotone Piepen des Monitors mischte sich mit dem Surren des Beatmungsgeräts. Robin lief nebenher, die Hand an der Infusionspumpe, bereit, den Druck zu korrigieren, falls die Werte abrutschten.
Im Aufzug sprach niemand. Nur Dr. Kruse, der mit verschränkten Armen hinter der Trage stand, sagte leise: „SHT Grad III, vermutlich diffuse axonale Schädigung. Vielleicht Subduralhämatom rechts. Wir müssen die Blutung finden, bevor der Hirndruck weiter steigt.“ Seine Stimme war ruhig - zu ruhig für das Desaster, das vor ihm auf der Trage lag. Als sich die Aufzugtüren öffneten, schlug ihnen die sterile Kälte der CT-Abteilung entgegen. Weiß. Neonlicht. Alles glitt in diesem grellen Schein zusammen - Schläuche, Metall, Haut. Der Radiologe wartete schon. „Wir haben fünf Minuten Slot, bevor der nächste Polytrauma-Fall reinkommt“, sagte er, und das Team bewegte sich jetzt hektischer als zuvor.
„Transfer bei drei. Eins, zwei, drei.“ Der Körper des Patienten wurde auf den CT-Tisch gehoben, Schläuche umgesteckt, Kabel neu befestigt. Robin überprüfte die Sauerstoffzufuhr: 99 Prozent. Stabil. Ihre Finger zitterten, obwohl der Rest von ihr wie eingefroren war. Das Gerät begann zu surren. Der Tisch schob sich langsam in die Röhre. Für einen Moment sah sie nur die nackten Fußsohlen - das einzige Unversehrte an ihm. Auf den Monitoren erschienen die ersten Schichtbilder: Grau. Schwarz. Weiß. Gehirn. Knochen. Blut. Dr. Kruse trat näher, sein Blick scharf, präzise. „Hier: Kontusionsherde frontal beidseits. Subdurales Hämatom rechts, Kompression der Mittellinie. Diffuse axonale Verletzungen.“ Er sprach, als würde er diktieren. Der Radiologe nickte. „Hirndruckwerte?“ „Unbekannt. Wir legen nachher eine Sonde.“
Robin verstand jedes Wort - theoretisch. Sie hatte diese Begriffe schon hundertmal gelernt. Aber diesmal war es kein Bild im Lehrbuch. Diesmal war es ein Mensch. Dr. Kruse atmete hörbar aus. „Wir operieren. Sagen Sie im OP Bescheid, wir brauchen Platz.“ Dann sah er zu Robin. „Sie bleiben hier. Dokumentieren. Und halten Sie sich bereit, falls er dekompensiert.“ Sie nickte.
Als das Team hinausstürmte, blieb sie allein mit dem Radiologen und dem leisen Brummen des Geräts. Das letzte Bild erschien: eine dünne, helle Linie am oberen Rand des Gehirns. „Das da“, murmelte sie mehr zu sich selbst, „das ist noch intakt, oder?“ Der Radiologe sah sie kurz an „Vielleicht. Aber das reicht selten. Wenn er das überlebt, ist er ein lebendiges Wunder.“
Der OP lag im dritten Stock des Klinikums, Raum 2B - Neurochirurgie. Von außen sah alles ruhig aus: ein stiller Flur, sterile Wände, gedämpftes Licht. Nur das rote Leuchten über der Tür, „Operation - Kein Zutritt“, pulsierte in gleichmäßigem Rhythmus. Robin stand auf der schmalen Glasempore über dem Saal. Unten, durch die dicke Scheibe, konnte sie die Vorbereitung sehen: Das Team in grünen Kitteln, Masken, die glänzende OP-Leuchte. Der Patient lag reglos auf dem Tisch. Ein steriler Verband um den Kopf, Schläuche, Sensoren, der Beatmungsschlauch. Die Haut war blass und gespannt, der Schädel rasiert. Dr. Kruse sah aus wie immer: ruhig, präzise, keine Bewegung zu viel. In diesem Moment war er das Epizentrum von allem, was unten geschah.
„Säge, bitte. Schnittlinie nach Plan. Wir öffnen rechts parietal.“
Die OP-Schwester reichte das Instrument, ohne hinzusehen.
Das metallische Surren füllte den Raum. Robin legte instinktiv eine Hand gegen die Scheibe. Sie wusste, was das bedeutete: Trepanation. Eröffnung des Schädels. Druckentlastung. Im Studium war das eine Abfolge aus Begriffen und Zeichnungen gewesen. Jetzt war es Blut, Knochensplitter, das langsame, vorsichtige Abheben einer Schädelplatte - so präzise, wie der Metzger Fleischwurst in feine Scheiben schneidet.
„Subdurales Hämatom sichtbar“, sagte Dr. Kruse. Seine Stimme ruhig, aber konzentriert. „Absaugen. Druck steigt.“
Ihr Blick folgte seinen Bewegungen - jede Geste, jedes Zucken. Das OP-Team reagierte wie ein einziger Organismus. Einer reichte Instrumente, ein anderer kontrollierte den Druck, ein Dritter wischte Blut ab, bevor es die Sicht trübte.
Robin konnte den Geruch nicht riechen, aber sie wusste, dass er da war - metallisch, steril, heiß. Das Licht brannte durch die Glasscheibe und warf harte Schatten auf ihr Gesicht. Sie spürte, wie der Schweiß an ihrem Nacken entlanglief. Unten zog Dr. Kruse die Stirn leicht zusammen. „Sieh an …“, murmelte er, „Hirngewebe reagiert noch auf Reizung. Minimal. Das ist ungewöhnlich.“ Ein kurzer Blick zwischen den Chirurgen, ein Nicken. Dann ging es weiter - professionell, mechanisch, kontrolliert. Aber Robin hielt den Atem an. Sie wusste, was das bedeutete: Es war nicht viel. Nur ein Reflex. Aber in einer Welt, in der „Wir haben unser bestmögliches gegeben.“ Alltag ist, war jede Reaktion ein Flackern von Hoffnung.
Die OP dauerte zweieinhalb Stunden. Blut stillen. Hämatome entfernen. Drainage legen. Schädelplatte fixieren. Dann die Worte, die sie später noch oft hören würde: „Patient stabil, aber Zustand kritisch.“
Robin blieb noch, als das Team den Raum verließ. Unter ihr wurde aufgeräumt, Metall in Metalleimer geworfen, Tücher eingesammelt. Nur der Patient blieb zurück, in Stille, eingehüllt in Röhren und Kabel. Von oben sah er aus wie ein stilles Kunstwerk.
/un wow…


