Leise schleicht Princess durch den Wald. Sie spürt seit Tagen eine Präsenz, die durch die Äste flattert und den Wald zu ihrem Reich erklärt hat. Princess ist willens, ihren Wald abzugeben, denn sie weiß genau, was dort in den Baumkronen auf sie wartet: Eine Waldälteste, eine Hüterin der Wälder, ein Orakel. Sie hat Antworten auf alle Fragen. Und für diese Antworten gibt Princess den Wald gerne auf.
Auf leisen Pfoten hüpft sie über die Äste eines Baumes, fährt die Krallen aus, um sich auf dem nächsten Baum an den Ästen hochzuziehen, und da sitzt sie. Schaut Princess an, als hätte sie schon seit Ewigkeiten auf ihr Erscheinen gewartet. Die großen Augen schauen sie an, scheinen direkt durch ihr Fell hindurch und direkt in ihre Seele zu schauen, ihr Wesen zu verstehen und ihre Ängste wahrzunehmen.
Mit einer lässigen Bewegung wirft Princess die tote Maus, die sie im Maul trägt, zu der Eule herüber. Die Eule fängt sie mit einer gelangweilten, fast langsamen Bewegung mit der Kralle und legt sie zur Seite. Ein Friedensangebot von Princess, ein Tribut. Beide Tiere wissen, dass es das einzige bleiben wird, aber es reicht. Mit der toten Maus ist alles gesagt.
Ich respektiere dich, denkt Princess, und akzeptiere, dass du hier bist. Sei dankbar.
Ich verstehe dich, denkt die Eule, und möchte dir nichts wegnehmen. Aber dieser Wald gehört mir.
Durch ihre Körpersprache kommunizieren die beiden Tiere. Worte sind nicht nötig. Worte sind undeutlich, können falsch interpretiert werden. Worte gehören den Menschen. Das Zucken von Princess’ Schweif und das Blinzeln der Waldältesten sagen mehr als tausend Worte ausdrücken könnten und sind dabei viel deutlicher.
Du hast Fragen, denkt die Waldälteste.
Nur, wenn du Antworten hast.
Princess setzt sich auf den Ast, schlägt den Schweif um ihre Beine und beugt den Kopf leicht nach vorne. Nicht unterwürfig, aber ein deutliches Zeichen, dass sie die Eule um Hilfe bittet. Die Eule wartet. Lange. Doch Princess weiß: Eulen haben Zeit. Viel Zeit. Und Princess hat Geduld, also wartet sie. Irgendwann gibt die Eule mit einem kleinen Wink ihres Flügels zu verstehen, dass sie die Frage stellen darf. Eine.
Princess überlegt lange, welche Frage sie stellen möchte. Sie hat viele. Das Heiße Haus am See. Die Donnerschlange auf der Straße aus Eisen im Osten. Die Hornteufel. Doch dann…
Princess berichtet von Schneewehe. Dem kleinen Straßenkater, der nun ein gemütliches, warmes Sofa gefunden hat. Und trotzdem sein Revier nicht abgeben möchte. Die Waldälteste schaut die Katze wissend an. Princess erzählt weiter, von Schneewehes jungem, blonden Menschen. Die ihr Fleisch hinstellt und damit ihre eigene Katze verrät.
Warum stellt der Mensch mir Fleisch hin, denkt Princess?
Die Waldälteste dreht langsam ihren Kopf, ihr Federkragen raschelt wie trockenes Laub. Ihre Augen, zwei bernsteinfarbene Monde, blinzeln Princess träge an.
Du fragst nach Menschen, denkt die Eule?
Sie neigt den Kopf leicht, betrachtet Princess mit dem langen, prüfenden Blick eines Wesens, das mehr Winter erlebt hat, als Princess Pfotenabdrücke setzen wird. Und dann erzählt sie, dass Menschen unlogische Wesen sind. Die Kämpfe um Reviere und den ehrlichen Krieg zwischen zwei Katzen nicht verstehen können. Niemals verstehen werden. Das sie die Konsequenz ihres Handelns niemals vollends verstehen können, dass der Mensch nicht weiß, dass sie ihrem eigenen Kater damit in den Rücken fällt und seine ganze Autorität untergräbt.
Der Mensch des Weißfells gibt dir das Fleisch, weil er das Unmögliche glaubt: Das aus Gutem Gutes entsteht, denkt die Eule.
Die Eule hebt ihren Flügel, als wäre damit alles gesagt. Princess versteht nicht, doch das ist häufig so bei Waldältesten. Sie sprechen in Rätseln, die erst entschlüsselt werden müssen, bevor man sie endgültig versteht. Daher senkt sie dankbar den Kopf. Doch die Eule räuspert sich trocken.
Nimm das Fleisch. Es ist Winter, und wenn du es nicht nimmst, dann frisst ein anderes Tier es. Doch sei auf der Hut: Menschen tun selten, was du erwartest. Und niemals, was du willst, denkt die Eule.
Menschen sind laut. Und denken, dass die Welt ihnen gehört, denkt Princess.
Doch sie täuschen sich. Die Welt gehört allen. Pass auf dich auf, Princess.
Princess erschrickt kurz, als sie ihren Namen hört. Doch sie stellt nicht in Frage, woher die Eule ihn kennt. Vielleicht hat sie ihm vom Wind erfahren, oder als sie in ihre Seele geguckt hat. Oder jemand hat ihn geflüstert und die Eule hat gut hingehört. Princess senkt dankbar den Kopf, dann hüpft sie über die Äste vom Baum und verschwindet im Wald.


Freddy stellt das Fleisch nach draußen. Er hat darauf geachtet, dass er Geflügel nimmt, weil Gismo es nicht mag.
PSPSPSPSPSPSPSSS
Gelangweilt verdreht er die Augen, als die Katze nicht direkt auftaucht, dann geht er wieder rein, kuschelt sich neben Gismo auf das Sofa und guckt weiter Game of Thrones.