Princess schaut aus ihrem Baumhaus, als sie von ihrem Mittagsschlaf erwacht. Schon heute morgen hatte es geschneit, doch mittlerweile sieht die Welt draußen wundervoll weiß aus. Princess liebt Schnee. Die Welt wird plötzlich angenehm weich und leise. Es sind weniger Autos und weniger Menschen unterwegs. Der Schnee macht ihre Jagd komplizierter, weil ihre Beute sich einigelt und versteckt. Aber sie hat heute Mittag am Mülleimer hinter dem Haus vom dicken Tiertöter gegessen, also macht sie sich um ihre Nahrung keine Sorgen. Noch nicht. Vielleicht später.
Anmutig springt Princess aus dem Baumhaus und landet in der weichen Decke, die sich über die Welt gelegt hat. Sie lauscht und vernimmt eine angenehme, unfassbar beruhigende Stille. Kein Vogel piept, kein Auto rauscht, kein Mensch lacht. Als hätte die Welt endgültig akzeptiert, dass sie ihr gehört.
Princess kann nicht anders. Sie ist nicht sonderlich verspielt, doch manchmal gönnt sie sich eine kleine Auszeit. Sie nimmt ein paar Schritte Anlauf und springt, den Kopf voran, in den Schnee. Sonderlich hoch ist die Decke noch nicht, doch Princess fliegt weich und sie sinkt ein wenig in die angenehme Kälte ein. Eisklumpen bilden sich in ihren Schnurrhaaren und behindern ihren Tastsinn, doch das macht nichts. Mit der Tatze schlägt sie nach einer Schneeflocke, die vor ihr herschwebt und nimmt anschließend die kalte Tatze in den Mund, um den Schnee auf der Zunge zu spüren.
Doch plötzlich fällt ihr etwas auf.
Ihr rotes Fell war im Herbst ein großer Vorteil. Vor den gefärbten Blättern der Herbstbäume war sie nur für geübte Augen wahrnehmbar. Auch im dunklen Dämmerlicht der tiefstehenden Abendsonne war sie schwer zu erkennen. Doch hier? Im Schnee? Könnte sogar die blinde Katze, die sie neulich gesehen hatte, sie sehen. Und Schneewehe?
Schneewehe ist wie für den Winter gemacht. Das Fell so weiß wie der Schnee, die Augen so blau wie der zugefrorene Bach. Schneewehe wird plötzlich von einer ernstzunehmenden Bedrohung zu einer richtigen Gefahr. SIe schaut sich hektisch um und schnuppert am Wind, doch sie kann den Kater nicht wahrnehmen. Sie ist sicher.
Noch, denkt Princess.
Sollte er es jetzt drauf anlegen, hat er bessere Karten. Deutlich bessere. Es kommen ein paar harte Tage auf sie zu, ahnt Princess. Die Wolken und der Wind sagen ihr, dass der Schnee nicht lange halten wird, doch so lange werden es harte Tage für sie. Während sie sich dem verweichlichten Hauskätzchen gegenüber bisher überlegen gefühlt hat, wird sie nun solange der Schnee liegt doppelt achtsam sein müssen.
Ihre Freude am Winter ist wie weggeblasen.
Schnee ist doof.
Wie jeden Abend stellt Stacy der Streunerkatze einen Napf Futter raus. Meistens bleibt er unangetastet stehen und selbst wenn etwas aus dem Napf fehlt, kann sie sich nie sicher sein, ob wirklich die Katze etwas daraus gefressen hat. Die Decke aus der kleinen Katzenhütte hat sie inzwischen entfernt und stattdessen frisches Stroh hineingelegt. Vielleicht hat die Streunerin den menschlichen Geruch nicht gemocht?! Doch jetzt, wo es draußen plötzlich noch kälter geworden ist, merkt Stacy, wie die Unruhe in ihr wächst. Sie macht sich wirklich Sorgen.
Vorsichtig läuft Princess über das Dach des Hauses. Sorgsam setzt sie einen Schritt nach dem nächsten, bleibt regelmäßig stehen. Lauscht nach verdächtigen Geräuschen. Riecht am Wind. Schaut sich um.
Sie hat Zeit und Geduld, auch wenn sie in einem fremden Revier jagt.
Nachdem sie sich zwei Mal versichert hat, dass Schneewehe nicht in der Nähe ist, versichert sie sich noch ein drittes Mal. Dann schleicht sie an die Dachkante und lässt sich in den weichen Schnee fallen.
Wie beim letzten Mal nimmt sie nur so viel Pute in das Maul wie sie tragen kann und verschwindet in Richtung Garten. Die Behausung, die der blonde Mensch aufgebaut hat, betrachtet sie nur kurz herablassend. Viel zu klein, viel zu künstlich, viel zu weit im fremden Revier.
Bevor sie im Dunkel des Waldes verschwindet, setzt sie in die letzte Ecke des Gartens, im Schatten versteckt, eine Markierung. Nur weil es geschneit hat wird sie nicht klein beigeben. Es ist ein erster Gruß an Schneewehe, eine Erinnerung, dass sie noch existiert und eine Mahnung, dass er sich nicht zu sehr ausruhen sollte.


