Princess war den ganzen Tag im Osten des Dorfes unterwegs. Dort, beim großen Wasserbecken und dem Hort der Toten treiben sich nicht viele Menschen rum und auch keine Katze, die das Revier beansprucht. Alle vier oder fünf Wolken zieht die laute Donnerschlange über die Straße aus Eisen, doch die scheint sich nicht für sie zu interessieren und verlässt die Eisenstraße niemals.

Auf dem Rückweg zum Baumhaus hat sie sich vielleicht zu sicher gefühlt. Ihre Deckung heruntergefahren, ihre Instinkte missachtet und einen Fehler gemacht. Wie im Trott läuft sie durch die Straßen, statt über die Dächer, wie sonst. Sie hört ihn, bevor sie ihn sieht und viel zu lange, nachdem er SIE gesehen hatte.

KRAFF, KRAFF!!

Die Leine hängt um den Hals des Königspudels, den sie, weil er so laut ist, Gewitter nennt, doch von ihrem Menschen, ist keine Spur zu sehen. Er muss sich losgerissen haben, als er ihre Fährte gewittert hat. Nun rennt er bellend auf sie zu. Princess grinst, als der Hund auf sie zurennt.

Sie nimmt die Herausforderung an.

Statt über die Dächer zu flüchten, wo der Hund chancenlos wäre, rennt sie grinsend durch die Gassen, Gewitter immer hinter ihr. Die Hündin ist eine schnelle Läuferin, aber untrainiert. Die Zunge hängt ihr hechelnd aus dem Maul, die langen Beine sind zwar fürs Rennen gemacht, zittern aber ein wenig. Doch Princess genießt die Jagd, das Adrenalin, das durch ihre Adern gepumpt wird, den kalten Wind, der ihr ins Gesicht peitscht.

Vielleicht etwas zu sehr. Manchmal riskiert sie etwas zu viel.

Plötzlich steht sie in einer engen Sackgasse zwischen zwei Häusern. Ihre Instinkte schlagen sofort Alarm, sie prüft die Umgebung sorgfältig. Es gibt kein Entkommen. Keine Mülltonne, über die sie aufs Dach kommen könnte. Kein Holzbalken, den sie mit ausgefahrenen Krallen erklimmen könnte. Kurz nach ihr betritt Gewitter die Gasse, bleibt stehen und beginnt wieder, zu bellen.

KRAFF, KRAFF!!

Sie kann nicht entkommen. Also tut sie das Nächstbeste. Sie wird groß. Ihr Rücken wölbt sich wie ein aufgebogener Bogen, das Fell schießt in alle Richtungen, sodass sie doppelt so groß wirkt. Ihr Schwanz bläht sich, die Pupillen weiten sich zu schwarzen, warnenden Tunneln. Aus ihrer Kehle kommt ein Laut, roh und wild, ein Krächzen, das an etwas erinnert, das im Wald lebt.

Der Hund prallt zurück, nur einen halben Schritt, aber sein Gleichgewicht kippt spürbar. Princess sieht, wie seine Hinterpfoten kurz rutschen, als müssten sie den Boden suchen. Sein Schweif klappt nicht nur nervös nach unten, er zuckt unkontrolliert, als wisse er selbst nicht, ob er fliehen oder imponieren will. Seine Lefzen hängen einen Atemzug zu tief, die Lippen zittern minimal. Ein leises Winseln bricht aus seiner Kehle, ungewollt, kaum hörbar, aber doch da.

Princess bewegt sich keinen Millimeter. Ihr Blick ist hart und unbeweglich, wie gemeißelt. Kopf tief, Schultern breit, Schwanz hoch. Eine lautlose Drohung. Eine Königin, die nicht verhandelt. Der Hund schluckt. Man sieht es: ein nervöses, schnelles Zucken im Hals. Die Ohren halb angelegt, die Pupillen geweitet. Er versucht zu knurren, aber der Ton bricht am Ende weg, dünn wie Papier.

Noch einen Schritt weiter und ich reiße dich in Stücke, denkt Princess und drückt es mit ihrer Körpersprache sehr deutlich aus.

Der Pudel bellt weiter, aber er kommt nicht näher. Er scharrt. Er schnappt in die Luft. Er wirkt groß und laut, aber sein Körper verrät den Rest: die leicht gesenkten Vorderpfoten, die vorsichtige Kopfneigung, die Spannung im Rücken. Er will sie wegjagen, nicht fressen. Princess weiß das. Sie kennt die Sprache der Körper besser als die der Geräusche.

Sie geht ihre Optionen durch und entscheidet sich schnell. Statt zu kämpfen oder zu rennen - und den Pudel damit zu provozieren - geht sie. Langsam. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Seitlich, nie mit dem Rücken zum Feind. Sie brennt vor Wut, aber sie ist klug. Der Pudel knurrt, bellt, hüpft vor, aber jedes Mal nur einen winzigen, zögernden Schritt. Er erwartet, dass sie irgendwann rennt. Dass sie bricht. Dass sie aufgibt. Princess tut das nicht. Niemals.

KRAFF, KRAFF!

Gewitter versucht, sie durch ihr Gebell zu provozieren - und genau darauf hatte Princess gewartet. Nur für einen Herzschlag verliert die Hündin durch das Bellen den Fokus, doch ein Herzschlag reicht. Mit einem einzigen, messerscharfen Sprung jagt Princess an der Gegnerin vorbei, so nah an der Wand wie möglich, macht drei lange Schritte, nützt ein geparktes Auto als Trittstufe und springt: Motorhaube, Autodach, Vordach, Hausdach. Das Auto poltert laut, als Princess darüberjagt. Der Pudel schießt ihr hinterher und stellt fest, dass sie keine Chance hat, ihr zu folgen.

KRAFF, KRAFF, KRAFF!

Princess bleibt auf dem Dach stehen, das Fell noch gesträubt, doch das Herz beruhigt sich schon. Sie schaut hinab auf den Hund, der tobend vor dem Auto steht.

Unhöflich, denkt Princess.