Robin steht mit dem Tablet im Arm vor Kruses Büro, den neuen Plan hat sie bereits dreimal überprüft, bevor sie überhaupt klopft. Als Kruse „Herein“ murmelt, öffnet sie die Tür.
„Doktor Kruse? Ich würde gerne den Therapieplan für 314 anpassen.“ Sie wartet, bis er den Blick hebt. „Der Patient zeigt wiederholte Eigenatemimpulse, spontane Flexion und gestern Abend erstmals eine Reaktion auf verbale Ansprache. Ich schlage vor…“
Er hebt die Hand. „Kurzfassung, Doktor Veldmann.“
„…die Sedierung stufenweise weiter reduzieren. Verbale Orientierung ausweiten. ASB beibehalten. Frührehabilitation informieren, Kommunikationsdiagnostik vorbereiten.“
Sie legt das Tablet und die Kurve auf seinen Schreibtisch. Kruse setzt die Brille auf, überfliegt die Daten, nickt, aber nicht anerkennend.
„Wie Sie meinen, Doktor Veldman. Foltern Sie ihn ruhig mit Ihrer Begeisterung.“ Dann legt er das Tablet langsam beiseite. „Und noch etwas, Doktor Veldman.“ Sein Ton wird kälter, schärfer. „Sie werden ab sofort die Besucher stärker einbeziehen. Wenn der Patient auf Stimmen reagiert, dann sollen seine Freunde und Angehörigen sprechen, nicht Sie. Das ist nicht Ihre Aufgabe. Und auch nicht die der Pflege.“
Robin blinzelt. „Ich…“
„Nein.“ Er schneidet ihr das Wort ab. „Sie haben andere Patienten. Andere Fälle. Wenn Sie emotional nicht in der Lage sind, die nötige Distanz zu halten, dann muss ich Ihnen den Fall entziehen. Und das wäre…“ Er macht eine knappe Handbewegung. „…bedauerlich. Arbeitstechnisch.“ Er steht auf und verlässt das Büro. Die Tür fällt ins Schloss.
Robin bleibt zurück. Er hat es gemerkt. Natürlich hat er es gemerkt. Dass sie zu lange am Bett steht. Dass sie jede Regung zu groß macht. Dass sie emotional investiert ist in einen Patienten, den andere längst aufgegeben hatten. Sie atmet durch. Er hat recht. Sie sollte die Besucher sprechen lassen. Abstand halten. Objektiv bleiben. Aber - Ich will da sein, wenn er spricht. Der Gedanke trifft sie wie ein elektrischer Impuls. Unprofessionell. Egoistisch. Aber wahr. Dieser Mann ist von absoluter Stille zu Atem zurückgekehrt. Von Reflex zu Reaktion. Und vielleicht sogar zu Worten.
Sie richtet sich auf, glättet die Miene, steckt das Tablet unter den Arm und geht den Flur hinunter. Wenige Schritte und sie steht wieder in Zimmer 314. Licht fällt durch die halbgeöffneten Jalousien, warm und klar. Auf dem Boden zeichnet die Sonne ein scharfes Rechteck. Das Zimmer wirkt hell und lebendig - zu lebendig für jemanden, der drei Monate lang zwischen Leben und Nichts geschwebt hat.
Robin tritt näher ans Bett. Diesmal beginnt sie nicht mit Zahlen. Nicht mit Kabeln. Nicht mit Protokollen. Sie beginnt mit Worten. „Vielleicht hältst du mich für verrückt, aber ich weiß, dass das funktionieren wird. Dein Fortschritt grenzt jetzt schon an ein Wunder. Also… warum sollte ich nicht daran glauben?“ Sie prüft automatisch den Beatmungsmodus, den Drucksupport und die Trigger-Sensitivität. „Deine Freunde… sie machen das gut.“ Ein kurzes, fast tonloses Lachen. „Wahrscheinlich besser als ich… Kruse meint, ich soll ihnen mehr Raum geben. Weniger… am Bett stehen und reden. Und er hat recht.“ Sie hält inne. „Aber noch nicht heute.“
Niko kommt in das Zimmer als Dr. Veldmann noch da ist. Er hat Jerome lange nicht besucht, aber da er gehört hat das es Fortschritte gibt wollte er nun doch mal vorbei schauen. Als er die schöne Ärztin am Bett stehen sieht bleibt er wie vom Pfeil getroffen stehen…
Robin steht noch dicht am Bett, mitten in einem Satz, als die Tür sich öffnet. Sie verstummt sofort. Ein Besucher steht im Türrahmeb, wirkt völlig überrascht, fast überrumpelt. Robin richtet sich auf, ihre professionelle Haltung ist nach einer Sekunde zurück. Sie sind wegen Herrn von Hohenburg-Lichtenhain hier?
Äh…nein…also doch ja…natürlich wegen Jerome Niko geht langsam ins Zimmer und schaut Robin an
Also ich…äh…bin Niko und Sie? Sind sie öfter hier?
Veldman. Doktor Veldman. Sie deutet auf ihr Namensschild. Ich betreue seinen Fall seit seiner Ankunft. Also… ja. Ich bin regelmäßig hier.
Oh…das heißt wir sehen uns häufiger? Nikos Gesicht beginnt zu strahlen
Ich meine Jerome und ich wir waren ja früher unzertrennlich. Wie Pech und Schwefel. Fast wie Brüder!
Wenn Sie regelmäßig kommen, ja, dann sehen wir uns vermutlich öfter. Als der Besucher von früher erzählt, hebt Robin kurz die Augenbrauen, interessiert, aber vorsichtig distanziert. Es ist gut, dass Sie da sind. Vertraute Stimmen können viel bewirken. Wir wissen allerdings noch nicht, an wie viel er sich erinnert. Oder wen er wiedererkennen wird, wenn dieser Prozess weiter voranschreitet… Aber genau deshalb ist es wichtig, dass Sie mit ihm sprechen. Das Gehirn reagiert auf Muster, Stimmen, Namen, Geschichten…
Ja…das stimmt.
Wir könnten uns ja hier sonst auch einfach unterhalten. Dann hört er ja auch meine Stimme. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?
Nein, danke. Ich muss weiter, ich habe noch andere Patienten. Robin macht einen Schritt zur Tür, dreht sich dann aber noch einmal zu ihm um. Sprechen Sie ruhig mit ihm. Auch wenn wir nicht wissen, wie viel er im Moment wahrnimmt… es kann nur helfen. Sie greift nach der Klinke. Und wenn er irgendwie reagiert, egal wie, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich würde es gern aus erster Hand hören.


