Holger prüft ein letztes Mal, ob seine Taschen ordentlich gepackt sind - Erste-Hilfe-Set in der linken Beintasche, Futterbeutel in der rechten, Multitool am Gürtel, Handy in der bruchsicheren Hülle in der Brusttasche -, dann schwingt er sich auf den Rücken seiner Stute Sabrina. Seine Funktionshose knistert leise, als er das Bein über den Rücken hebt. Das Pferd gehorcht auf den leichten Zug am Zügel, und mit einem Schnauben von Amadea, der zweiten Stute, als Abschied reiten die beiden los.
Sie verlassen Beas Glückshof und folgen einem Pfad Richtung Süden, der sich langsam bergauf schlängelt. Es ist noch dämmerig, doch die Stirnlampe, die an Holgers Reithelm befestigt ist, leuchtet ihnen den Weg. Es ist kalt, doch die Funktionsjacke und die dicke Weste, die er darunter trägt, schützen ihn vor der Kälte. Sabrina hat er vor dem Ausritt penibel aufgewärmt.
Sie folgen den Weg etwa eine halbe Stunde - nie schneller als im Trab - bis sie den Aussichtspunkt erreichen. Mit einem sanften Zug am Halfter bremst Holger das Pferd und wirft einen Blick auf Hausen, das still und ordentlich unter ihnen liegt. “Sein Hausen”, sagt er manchmal im Scherz, und meint es doch ein bisschen so. Ordentlich wie ein Aktenregister liegt es vor ihm, rote Dächer in Reih und Glied, Gärten wie sauber gezogene Tabellen. Er kennt die Bewohner jedes Hauses und was ihre Sorgen und Anträge der letzten Monate waren, jedes Formular, das sie bei ihm eingereicht haben. Er kennt jeden Kanaldeckel und jede Straßenlaterne und weiß, wann sie für die Wartung fällig sind. Seit Jahren hält er Hausen am laufen, und doch…
Sabrina schnaubt und schüttelt mit dem Kopf eine Fliege weg.
… und doch reicht es ihm grade irgendwie nicht. In der Ferne sieht er Frau Brockards Hof und Amadea, die über die Koppel trabt und auf Sabrinas Rückkehr wartet. Heute ist Holgers erster Urlaubstag, sein erster in diesem Urlaub und sein erster seit zwei Jahren. Eine Woche hatte die Einführung von Frau Lorbeer-Stieglmeier gedauert, dann hatte er seinen Kugelschreiber abgelegt, sein Faxgerät - das eh noch kaputt war, weil irgendwer Herr Eros-Cojones mit der Reparatur beauftragt hatte, statt zu Herrn Weinmacher zu gehen - ausgeschaltet und war in den Urlaub gegangen. Der Urlaub war genehmigt worden, doch auf die Unterschrift auf seiner Stundenreduzierung wartet er immer noch.
Holger lässt seinen Blick nach Osten wandern, wo hinter dem Friedhof der alte Hof der Familie Schneider liegt. Ein heruntergekommenes, renovierungsbedürftiges Gebäude mit einem alten Stall und ausreichend Grund für ein paar Pferde. Und doch weckt das alte Haus eine Sehnsucht in ihm, die er nur schwer in Worte fassen kann.
Er merkt, dass Sabrina unruhig wird und sich bewegen muss, bevor sie auskühlt, also zieht er liebevoll am Zügel, um ihr zu signalisieren, dass es weiter geht. Im Schritt folgen sie dem Weg, der sie am Sportplatz des BSG Hausen und einem kurzen Ritt über die Feldstraße zurück zum Glückshof bringen wird.
Holger träumt von einer Zukunft, in dem nicht mehr Akten und Formulare sein Leben bestimmen, sondern der Herzschlag eines neugeborenen Fohlens, das Geräusch von Hufen auf der Koppel und das Wiehern seiner Pferde. Natürlich muss eine Pferdezucht ebenso ordentlich geführt werden wie die Gemeinde, doch Impfpässe, Ernährungspläne und Geburtenregister kommen ihm grade so viel verlockender vor als Vereinsgründungen, Tiefbaugenehmigungen und Ummeldungen.
Als Holger und Sabrina in die Feldstraße einbiegen und die Hufe über den Asphalt klappern, fängt es an zu nieseln. Trotzdem hat der kurze Ausritt ihm so viel Spaß gemacht, dass er lächeln auf den Glückshof einreitet. Sabrinas Abschwitzdecke liegt schon bereit, ordentlich gefaltet. Alles hat seinen Platz. Nur sein Leben, findet er, könnte langsam einen neuen finden.


Holger wird blaß.
Bloß nicht!
Und was machst du um Spaß zu haben?🤪🤪🤪
Einkommensteuererklärung, den Kleiderschrank sortieren und reiten!
Achso natürlich 🤪🤪😵💫😵💫
Was halt jeder normale Mensch so macht. Oder?
Oje😵💫😵💫😵💫