Ein letztes Mal, Schatz…
Lübben hatte es versprochen. Mal wieder. Schon wieder hatte er die Worte gesagt, ein Stück weit, weil er es sich wünscht und hofft, aber ein Stück weit auch, damit die Diskussion mit Jana endlich aufhört. Er hat halt Pflichten.
Denn, ganz ehrlich, ohne ihn läuft in Hausen nichts. Weil er der einzige ist, der das Archiv im Keller versteht. Weil er der einzige ist, der das Faxgerät bedienen kann. Weil er der einzige ist, der die Kraft und Muße hat, sich mit Frau Wolfeisen auseinanderzusetzen. Weil er das umfangreiche Formularwesen der Gemeinde vor Jahren überarbeitet hat und der einzige ist, der es versteht.
Ein letztes Mal sitzt Holger am Sonntag in seinem Büro im Rathaus und bereitet alles für morgen vor. Der Bürgermeister kommt endlich aus dem Urlaub zurück. Holger fragt sich mal wieder, wie es sein kann, dass jeder Bürgermeister die dreimonatige Amtszeit entweder für Urlaub nutzt, oder um zu verschwinden. Außer Herr Grabowski. Und Herr Langmann, leider.
Holger lässt seinen Blick über den Schreibtisch schweifen. Ja, alles ist bereit für morgen. Das Formular 28A - Übergabe nach Abwesenheit ist ausgefüllt. Eine umfangreiche und sehr detaillierte Übergabeliste geschrieben. Wenn Herr Huber morgen zum Dienst erscheint, kann alles wichtige besprochen werden.

Wie jeden Tag öffnet Holger die mittlere Schreibtischschublade. Dort liegt Forumlar 78b - Antrag auf Reduzierung der Stundenleistung in der Gemeinde Hausen. Fertig ausgefüllt, lediglich die Unterschrift vom Dienstherrn fehlt darauf. Es liegt dort seit bald sechs Monaten, der Zeitpunkt zum Einreichen war nie da. Darunter liegt, handgeschrieben, eine lange Liste. Sie soll ihm als Leitfaden für die Diskussion dienen, sollte Herr Huber Diskussionsbedarf haben. Und Formular 21b - Urlaubsantrag. Für die nächsten zwei Wochen, Holgers erster Urlaub seit einem Jahr.
Während Holger noch ein paar Stempel stempelt und Formulare bearbeitet - ein letztes Mal - tagträumt er von Pferden. Holger träumt seit ein paar Tagen öfter von Pferden, er weiß nicht genau, warum. Als wäre da ein Wunsch in ihm, den er noch nicht genau ergründet hat. Holger träumt von Zuchtbüchern, Abstammungstests, Zucht- und Bedeckungsscheinen, Equidenpässen, Meldungen an das Herkunfts- und Informationssystem für Tiere, Impf- und Gesundheitsnachweise, Transport- und Exportdokumenten. Spannend.
Holger zieht die Dorfkarte heran und schaut sehnsüchtig auf die alte Farm im Osten von Hausen, über dem Friedhof. Vom Leiter des Baumamtes weiß er, dass sie baufällig und heruntergekommen ist. Doch seit ein paar Tage wirkt sie wie ein Sehnsuchtsort auf ihn.
Vielleicht schaue ich sie mir im Urlaub mal an?
… denkt Holger, während ein Stempel auf ein Formular donnert. Ein letztes Mal am Sonntag.

